Im Westwendischen Kunstverein am 06.08.2016
Unter einem Himmel, der auf die Erde zu tropfen scheint, tanzen vier unbekleidete Frauen einen Reigen. Leere ist um sie her, eine karge grüne Landschaft, die sich bis in die Unendlichkeit zu erstrecken scheint. Endzeitstimmug kommt auf, die Malerei scheint sich in sich aufzulösen, Himmel und Erde verlieren ihre Stabilität, kommen in Bewegung, genauso wie die Tanzenden. Letzter Halt findet sich in dem feinen weißen Liniengerüst, welches die Tanzenden überragt und mit seiner absoluten Geometrie dem Gewaber der Farbmassen entgegensteht. Die Szene in Pink Moon mutet an wie ein Traum. Ein nicht unbekannter Traum, gehören doch die Tanzenden, welche sich an den Händen fassen seit der Antike zum festen Vokabular des kollektiven Bildgedächtnisses. Bei Lucas Cranach heißen sie Die drei Grazien, Matisse nennt das Motiv lediglich Der Tanz. Heiterkeit und eine Huldigung an die schönen Künste sind die Themen all dieser Bilder. Justine Otto zitiert das Motiv, nicht jedoch das Bildthema. Ihrem Traum wohnt eine verstörende Ambivalenz inne, die Atmosphäre hat etwas unterschwellig Verstörendes. Bestärkt wird der Moment der Ungewissheit auch durch die nicht zu entschlüsselnde Handlung – ist es ein kultischer Tanz, der hier aufgeführt wird, ein Endzeittanz oder nur ein Traum? Wer den Film Melancholia von Lars von Trier gesehen hat wird sich vermutlich an die Schlusssequenz erinnert fühlen – kein Zufall, auch hier wird versucht das Unvermeidliche abzuwehren: die Hauptpersonen versuchen sich vor dem Aufprall eines Kometen mit einem zeltartigen Gerüst aus Ästen zu schützen. Was genau in Pink Moon geschieht bleibt offen. Es gibt keine wirkliche Handlung, vielmehr scheint die Zeit eingefroren zu sein, der Moment ist isoliert vom Weltgeschehen und steht für sich. Das Bild konfrontiert uns als Betrachter auf poetische Weise mit subversiver Angst, der Vergänglichkeit und einer gewissen Absurdität – Themen, die allen Arbeiten von Justine Otto innewohnen und die sie über eine faszinierende Atmosphäre in ihren Bildern sowie die Präsenz der Malerei als Malerei generiert.
Nun werden Sie sich vermutlich fragen, wie Malerei innerhalb der Malerei denn jemals nicht präsent sein könnte. Stellen Sie sich eine Arbeit von einem beliebigen Renaissance-Maler vor oder, falls Sie lieber moderner denken mögen, einen Magritte. Die Malerei ist in all diesen Bildern Mittel zum Zweck, sie ist das Instrumentarium des Künstlers, um ein Abbild der Realität herzustellen, sie verschwindet hinter den Gegenständen, die sie darstellt, versucht fotographisch genau zu sein. Bei Justine Otto nun ist, was aus der Ferne realistisch aussieht, bei näherer Betrachtung durchaus abstrakt. Hier balanciert die Malerei zwischen noch-gegenständlich und sich-bereits-auflösend. Immer ist der malerische Duktus prägnant, die Bilder wollen sich als gemalte Welten verstanden wissen. Gerade durch die Haptik, welche daraus entsteht, durch das Gefühl, man könne die Materie des Himmels berühren und in die Atmosphäre hineingreifen, wohnt den Bildern eine einmalige Verführungskraft inne.
So schließt sich der Kreis und wir landen beim Titel der Ausstellung: Hidden Persuaders – Die geheimen Verführer. Der Titel ist inspiriert von einem Romantitel des US-Autors Vance Packard. Packard veröffentlichte soziologische Essays. Seinen größten Erfolg landete er 1957 mit The Hidden Persuaders. Darin dokumentiert er den „Griff nach dem Unbewussten in jedermann“ durch Psychologen und Marktforscher am Beispiel der Werbeindustrie. Dieser Griff nach dem Unbewussten findet sich auch im Bildkosmos von Justine Otto, allerdings nicht als Konsumkritik, sondern vielmehr als Auseinandersetzung mit existentiellen menschlichen Erfahrungen. Es geht in den Bildern um Tod und Leben, um Sinnlichkeit, um Abgründe und um unser kategorisches Denken, welches unsere Erfahrungen in Gut und Böse einteilt.
Verhandelt werden diese Themen an Orten, die überall und nirgends sein könnten. Nehmen wir als Beispiel die Arbeit qualität ohne kompromisse. Der Ort ist seltsam vertraut. Er ist ein Amalgam, eine Fusion aus Typologien: aus einer typischen durchschnittlichen Gewächshaus-Decke mit einer durchschnittlichen Wiese inklusive Pferd und einer Ladenfront. Die Künstlerin spielt hier mit unseren Erwartungen der Realität und transformiert diese durch die Zusammenfügung verschiedener Fragmente in jene Nicht-Orte. An diesen Orten scheint zum einen die Zeit still zu stehen. Zum anderen entziehen sie sich den uns bekannten Gesetzmäßigkeiten. Die Handlungen, welche dort vollzogen werden, sind uns nicht verständlich, die Situationen bleiben offen. Was tun die 3 jungen Frauen in qualität ohne kompromisse? Findet ein Dialog ohne Worte statt oder eine Beschwörung, wie die Hand und der konzentrierte Blick des Mädchens rechts glauben machen können? Michel Foucault bezeichnete derartige Räume als Heterotopien, als „andere Orte“. Die räumlichen Strukturen dieser Heterotopien sind in der Lage, mehrere Räume an einem einzigen Ort zu vereinen und zueinander in Beziehung zu setzen, die eigentlich unvereinbar sind. Gleichzeitig reflektieren sie, laut Foucault, in besonderer Weise gesellschaftliche Verhältnisse, indem sie sie repräsentieren, negieren oder umkehren.[1] Verhältnisse führt uns auch Justine Otto vor Augen, jedoch nie offensichtlich, sondern vielmehr als Ergebnis unseres Nachdenkens über die Bilder.
Ein interessantes Beispiel hierfür ist Lonestar. Auf den ersten Blick fühlt man sich an Bildnisse wie die Verzückung der Heiligen Teresa erinnert,[2] wie sie besonders im Barock immer wieder dargestellt wird. Das bekannteste Beispiel ist die Skulptur von Giovanni Lorenzo Bernini in der Cornaro Kapelle in Rom. Kritisch betrachtet man das Bild, sobald man die einzelnen langen, blutig roten Fingernägel entdeckt. Das noch recht junge Mädchen hat etwas Lolita-haftes. Ist es wirklich eine Heilige oder doch ein gefallenes Mädchen? Eine göttlich erleuchtete oder eine heranwachsende, die sich ihrer Sexualität bewusst wird? Justine Otto zeigt, wie sich auch heute noch Motive mit einer barocken Dramatik darstellen lassen und führt uns vor Augen, wie sehr unsere Erwartungen und unser kultureller Hintergrund die Bildwahrnehmung prägen. Sie deckt auf, dass die Malerei ambivalent und trügerisch sein, mit unserer Wahrnehmung spielen kann, nicht unbedingt der Wirklichkeit entspricht und überhaupt die Realität selbst es in sich hat und gut durchdacht werden sollte.
Den Trug der Bilder decken auch Arbeiten wie forth corner und gesangverein liederkranz auf. Auf beiden Bildern sehen wir sowohl eine junge Frau als Protagonistin, wie auch aus Pappe ausgeschnittene Männer, die lediglich Staffage sind. Mögliche feministische Deutungen möchte ich an dieser Stelle tunlichst unterlassen. Der springende Punkt ist nämlich ein ganz anderer: die Malerin lässt uns hier einen Blick hinter die Kulissen der Bildentstehung werfen. Teilweise baut sie im Vorfeld kleine Bühnenräume, in welchen sie die Bildszene anordnet. Dort sind die Personen ebenfalls Staffage, kleine Figuren aus Pappe. Damit nehmen diese Bühnen vorweg, was im Bild geschieht: für die Malerin ist dort alles Staffage, die Realität und die Wirklichkeit sind im Bild gleich real. Die junge Frau auf dem Bild ist genauso real bzw. irreal, wie die Pappfiguren.
In den Bildern der Napoleon-Reihe, wird der Staffage Gedanke weitergeführt. Hier sind die strammstehenden, in militärische Uniformen gekleideten fritze, friedrichs oder luipolds ebenfalls Staffage. Sie wirken wie Theaterspieler auf einer Bühne, sind Vorwand, um die Möglichkeiten der Formauflösung auszuloten. Die Befehlshaber, so wird hier deutlich, bestehen in gleichem Maße aus Farbe, wie ihre Umgebung, wie überhaupt jegliche Bildwirklichkeit ein Universum aus Farbe und den Ideen des Malers ist.
Besonders spannend sind in in diesem Kontext die jüngsten Arbeiten, die Multiporträts. Hinter Mathilde, Therese und den o.t.’s verbirgt sich jeweils eine zweite Bildebene, eine nicht zu denkende, sondern außergewöhnlicher Weise zu sehende Metaebene. Beim genauen Betrachten der Bilder eröffnet sich in den Gesichtern eine weitere Dimension, finden sich gemalte Szenen. Einmal mehr wird uns als Rezipienten ersichtlich, dass Malerei genau betrachtet werden will, dass wir Sein und Schein immer wieder auf den Leim gehen, wenn wir der Kunst mit der üblichen Alltagshektik begegnen, mit dem gleichen sekundenschnellen Bildkonsum, mit welchem wir durch Instagram oder Facebook navigieren…
Weit entfernt von derlei medialer Wirklichkeit und wie aus einem vergangenen Jahrhundert wirken die Arbeiten des „Wohnzimmers“, welches in diversen Ausstellungen als Environment gezeigt wurde. Auf den ersten Blick, den berüchtigten ersten Blick, wirken die kleinen Portraits und scheinbar vergilbten Szenen wie Bilder an Omas Ahnenwand. Doch auch hier ist die Idylle trügerisch, unsere Erwartungen werden ad absurdum geführt: die Säuglingsstation wird von Lämmern bevölkert, die werten Ahnen auf dem Familienporträt tragen rote Nasen – über allem liegt ein Hauch von Grusel. Sigmund Freud für seinen Teil hätte zweifellos seine Freude gehabt an diesen Arbeiten, die so subversiv „nach dem Unbewußten in jedermann greifen“ um es noch einmal mit den Worten von Vance Packard zu formulieren.
Eines möchte ich noch erwähnen, bevor ich Sie, im besten Fall mit einigen neuen Perspektiven, auf eigene Entdeckungsreise in Justines Kosmos entlasse. Als Kunsthistoriker sieht man sich immer wieder in die Debatte um den Tod der Malerei verwickelt. Seit dem Aufkommen der Fotografie galt die Malerei immer wieder als anachronistisch. Bereits 1839 erklärte Paul Delaroche in diesem Zuge: „Die Malerei ist tot, es lebe die Fotografie!“[3]. Joseph Beuys bekräftigte 1985, dass das Problem da beginne, wo einer sich anschicke, Rahmen und Leinwand zu kaufen und Jörg Immendorf riet :“Hört auf zu malen!“.[4]Dass die Malerei vor Vitalität strotzt, nach wie vor überraschen kann und der letzte Pinselstrich noch lange nicht gemalt ist, davon legt diese Ausstellung Zeugnis ab. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen malerisch schönen Abend.
[1] Foucault, Michel: Andere Räume (1967), in: Barck, Karlheinz (Hg.): Aisthesis: Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik; Essais. 5., durchgesehene Auflage. Leipzig: Reclam, 1993. [2] Diesen Vergleich stellt auch Jean-Christoph Ammann stellt in seinem Text „Das weibliche Territorium der Justine Otto“ auf. In: Ausstellungskatalog Helter Skelter, Publikation anlässlich der Verleihung des Kunstpreises 2010/2011 des Lüneburgischen Landschaftsverbandes, Bielefeld 2010, S. 9-13. [3]http://www.welt.de/print-wams/article109269/Geschichte-einer-Hassliebe.html (25.7.16) [4]http://www.deutschlandradiokultur.de/die-malerei-ist-tot-es-lebe-die-malerei.950.de.html?dram:article_id=258389 (24.7.16)