Ein verlassener Parkplatz irgendwo im Nirgendwo. Der Blick schweift weit über den Asphalt hinweg, am Horizont lässt sich ein Gebirgsmassiv ausmachen. Im Vordergrund zwei Gestalten, eine kauernd, eine nackt auf dem Boden liegend – schlafend oder tot? Am Himmel schweben 4 weitere Gestalten, nur mit Shorts bekleidet, die Köpfe von hinter ihnen flatternden Tüchern verhüllt. Seltsam dieses Flattern – am Boden deutet nichts auf Wind hin, kann nichts darauf hindeuten, da es außer den beiden Figuren nichts Lebendiges gibt. Diese Divergenz verleiht dem Bildraum eine ungewöhnliche Spannung, ein leichtes Vibrieren scheint in der Luft zu liegen, die Atmosphäre ist einerseits geladen und gleichzeitig von einem Hauch von Melancholie durchzogen, ausgelöst durch die Szene im Vordergrund. Trauert die kauernde Gestalt oder wacht sie über den Freund? Die Erzählung bleibt offen und rätselhaft. Zumal das Bild auch malerisch nicht zu Ende erzählt wird. Denn uns als Betrachtern springt unmittelbar ins Auge, dass einige Partien nicht zu Ende gemalt sind – sie bleiben als leere weiße Flächen im Bild stehen. Die kauernde Gestalt ist eine derartige leere Stelle, ebenso sind Teile der Figuren am Himmel weiß gelassen. Dies verleiht der Situation noch mehr Rätselhaftigkeit, als sie ohnehin bereits in sich birgt.

Die weißen Flächen ziehen sich wie ein roter Faden durch sämtliche Werke von Constantin Schröder. In Anbetracht dieser leeren Flächen ist man versucht von Leerstellen zu sprechen. Doch gerade diese Stellen sind alles andere als leer. Sie schaffen Raum für die Imagination des Betrachters, Projektionsflächen, auf welche wir subjektive Erfahrungen projizieren können. Denn gerade dadurch, dass die Bilder nicht durchgemalt sind, dadurch, dass diese Freiflächen existieren, versucht unser Denken genau diese Lücken zu schließen.

Schon im 19. Jahrhundert erkennt Gotthold Ephraim Lessing dass „dasjenige aber nur allein fruchtbar [ist], was der Einbildungskraft freies Spiel lässt. Je mehr wir sehen, desto mehr müssen wir hinzudenken können. Je mehr wir dazu denken, desto mehr müssen wir zu sehen glauben.“[1] Und Umberto Eco packt das Phänomen in den 1970er Jahren aus der entgegen gesetzten Richtung an und untersucht, wie offen bzw. mehrdeutig ein Kunstwerk in seiner Aussage sein kann, wie sehr es sich des „Fertigdenkens“ durch den Betrachter aussetzen darf, bevor es aufhört Kunstwerk zu sein.[2]

Feststellen lässt sich, dass gerade die leeren Flächen den Bildern einen enormen visuellen Reiz verleihen und sie noch lange als Nachbilder im Betrachter nachklingen lassen. Gleichzeitig unterstreichen sie die offene Narration der Arbeiten, die erzählerisch undefinierten Bildsituationen, die den Arbeiten ihre charakteristische Rätselhaftigkeit verleihen.

Die auf den Bildern gezeigten Momente scheinen Traum und Wirklichkeit zu verschmelzen. Es werden Orte gezeigt, die einerseits logische Elemente besitzen und andererseits absurd erscheinen. So entstehen surrealistische anmutende Szenarien, die mit unseren Erfahrungen der Welt spielen, sie verändern und damit neue Perspektiven auf scheinbar Banales schaffen. Dieses Banale erfährt gerade durch die Leerstellen eine Überhöhung, wird damit hervorgehoben und durch seine Absenz umso präsenter. So funktionieren die Leerstellen als rhetorisches Stilmittel, welches die im Bild dargestellte Narration pointiert.

Zentrum aller Arbeiten ist der Mensch in allen seinen Facetten. Vom modernen Heroen über den einsamen Wanderer durch zeitgenössische Dystopien über den gefallenen Engel. Alle Figuren sind idealisiert dargestellt und doch von wuchtiger Verletzlichkeit. Sie bewegen sich durch die vom Künstler visualisierten zwischenmenschlichen Rätsel,[3] versuchen ihren Weg zu finden und sich eine Identität zu schaffen. Möglicherweise sind sie dem Unterbewusstsein entsprungen, sind Protagonisten eines Tagtraumes. Vielleicht jedoch stellen sie auch Psychogramme dar, verbildlichen sie auf poetische, fast lyrische Art und Weise Ängste und Zweifel, die wir alle in unterschiedlichen Facetten kennen.

Genau hier greifen auch wieder die leeren Stellen – denn sie geben uns die Möglichkeit die vom Künstler angerissene Erzählung individuell weiterzuführen. Gleichzeitig verleiht die reduzierte Farbpalette den Arbeiten etwas seltsam Zeitloses. Weiß, Blau und eine Vielzahl von Grauschattierungen dominieren in den Bildern und verleihen ihnen eine merkwürdige Typologie – sie könnten an jedem Ort platziert sein. Durch die Reduzierung der Farben fällt gleichzeitig die malerische Behandlung der einzelnen Materialitäten umso mehr ins Auge. Die Alufolie auf dem Bild Folie ist mit enormen Aufwand und auffallender Akribie wiedergegeben, jeder einzelne Knick ausgearbeitet und sämtliche Lichtreflexe präzise gesetzt. Die Haare des Mannes in Kopf I scheint man berühren zu können und die Jacke in Jacke I besticht durch ihre Haptik.

Vom Mikrokosmos der Materialien nun ein letztes Mal zurück zum Makrokosmos der Themen. Auffallend ist, dass neben dem „Archiv der menschlichen Psyche“[4] immer wieder auch religiöse Ikonografie Bildinhalt ist. Dies ist keineswegs durch eine besondere Religiösität des Künstler bedingt, sondern seinem Theologiestudium geschuldet. Bilder wie Kruzifix I und II spiegeln ein Nachdenken über die Welt, das möglicherweise ein kleines Augenzwinkern birgt. So ist das Kruzifix am Strommast bezeichnend für eine Gesellschaft die von ihren Energiereserven abhängig ist. Eine weitere Arbeit reflektiert die unterschiedlichen Bilder, die wir uns von ein und derselben Gestalt machen. Aus der Diskussion mit dem Regisseur Arrigo Reuss über den Charakter von Jesus ergab sich die Erkenntnis, dass beide ein gänzlich konträres Bild von dieser Figur haben. Aus dieser Divergenz entstand die Idee für das Jesus-Projekt.

Sowohl Constantin Schröder als auch Arrigo Reuss, der tatsächlich ebenfalls Theologie studiert hat, allerdings in Australien, sollten nun im jeweils gleichen Bildformat ihre Idee von Jesus abbilden. Arrigo Reuss, der in seiner Erscheinung unserer klassischen Vorstellung vom Aussehen Jesus eins zu eins entspricht, inszenierte und fotografierte sich selbst – mit dem Ausdruck, den er für passend erachtete. Aus diesen Fotos wählte Constantin Schröder eines aus und transferierte es in ein Gemälde. Faszinierend sind dabei die Unterschiede in Gestik und Mimik – auf der Fotografie sehen wir einen distanzierten, strengen, etwas finsteren Messias, der in seiner Körperlichkeit äußerst menschlich ist. Die Hand hat er zum Segensgestus erhoben, das Spiel mit Licht und Schatten unterstreicht seine Distanz dadurch, dass der Unterkörper im Dunkel verschwindet und die Gestalt wie zur Hälfte in einer anderen Sphäre erscheint. Das Ölgemälde dagegen zeigt einen Jesus, der die Hand nach uns ausstreckt, den Betrachter berühren zu wollen scheint, um so eine größtmögliche Nähe herzustellen. Die Augen blicken weich und warm. Dass die Figur wie von oben herab auf uns zu schauen scheint betont das göttliche Wesen. Interessant ist auch hier das Spiel mit Licht und Schatten – auf dem Oberkörper zeichnen sich die Konturen eines Netzes ab – oder ist es doch ein Maschendrahtzaun? Auch hier bleibt das Bild offen und hält uns damit in seinem Bann…

[1] Gotthold Ephraim Lessing: Laokoon. In: Sämtliche Schriften, hrsg. v. Karl Lachmann und Franz Muncker, Stuttgart 1893.
[2] Umberto Eco: Das offene Kunstwerk, Berlin 1977.
[3] Barbara Leicht M. A., Kunstreferat Siemens AG, Kuratorin Kunstmuseum Erlangen.
[4] Ebd.