Ausstellungseröffnung Kunsthalle der Sparkassenstiftung Lüneburg 11.6.17

Das Wichtigste ist, den Kopf rauszuhalten aus dem fahrenden Zug, sich nicht zu verstecken. Das finde ich absolut ekelhaft, … das hasse ich wie die Pest, das ist auch die Pest und das kann man ja wohl von einem Jörg Immendorff nicht behaupten, dass der sich jemals versteckt hätte.“    Jonathan Meese[1]

Jörg Immendorff, geboren 1945 in Bleckede, hat sich, da muss man Meese recht geben, nie versteckt, sondern, ganz im Gegenteil mit Kunstaktionen, seiner politischen Überzeugung und seiner Karriere von sich reden gemacht. Mit zu den Meilensteinen dieser Karriere gehört die ‚Elbquelle’. Im Jahr 1999 in Riesa in Sachsen feierlich eingeweiht, ist sie die größte Skulptur Europas – 25 Meter hoch und 234 Tonnen schwer. Die in den Medien als „gußeiserne Spätromantik[2]“ titulierte Plastik ist von den Wintereichen Caspar David Friedrichs inspiriert. Einerseits ist sie ein Symbol für die Kraft der Natur, andererseits hält Immendorff auch hier, wieder einmal, mit seiner politischen Meinung im wahrsten Sinne des Wortes nicht hinter dem Baum. Vielmehr setzt er eine Malerpalette in die Äste der Skulptur und betont, dass die „Größe der Arbeit wohl der Größe des Problems angemessen sei, in einer Zeit zu leben, die den Grabgesang auf die Kultur und die Malerei anstimme“[3]. Die Debatte, inwieweit Immendorff mit dieser Aussage ins Schwarze trifft oder aber Schwarzmalerei betreibt, hat an dieser Stelle keinen Raum und würde zu weit führen. Interessant ist für uns heute vielmehr der Anknüpfungspunkt zur Ausstellung hier in Lüneburg, welche auch den Titel ‚Elbquelle’ trägt. Arbeiten aus sieben Werkzyklen sowie einige einzelne Blätter sind hier vereint. Unter anderem drei Blätter, die ebenfalls mit dem Titel Elbquelle versehen sind. In diesen wird die Skulptur als Bildthema in die Grafik übertragen. Zweimal wird sie im Fernsehen ausgestrahlt, einmal von einer Frau in Händen gehalten. Die Lithografien bestechen durch ihre farblichen Valeurs: der Künstler verwendet ein reiches Spektrum an Blautönen, an Grünnuancen und Gelb und schafft so farbintensive Werke, die durch die bewusst gesetzten Lichteffekte auffallen. Die Elbquelle scheint für Immendorff ein wichtiges, mehrfach wiederkehrendes Motiv gewesen zu sein – ob aus Heimatverbundenheit oder politischen Gründen sei dahingestellt. 

Neben der in diesen Arbeiten verwendeten Technik der Lithografie finden sich in der Ausstellung auch Holzschnitte, Aquatinta Radierungen, Linolschnitte, Siebdrucke und überarbeitete Fotografien. Sie zeigen das öffentlich wenig rezipierte grafische Können eines Künstlers der in erster Linie für seine Malerei bekannt ist. Dabei nimmt die Druckgrafik in Immendorffs Gesamtwerk einen wichtigen Raum ein. Viele seiner großen malerischen Zyklen wie das legendäre ‚Café Deutschland’, mit welchem Immendorff seinen internationalen Ruhm, begründete, variierte und pointierte er im Medium der Grafik. Warum, werden Sie sich vielleicht fragen, sollte man sich nach der Fertigstellung eines Gemäldes die Mühe machen, die Bildthemen noch einmal im kleinen Format durch zu deklinieren?

Für Jörg Immendorff ist die Grafik in mehrerlei Hinsicht ein äußerst wichtiges und seinen Bedürfnissen entsprechendes Medium. Zum einen kann er hier die Ideen, die in den Bildern ausgeführt wurden noch einmal durchdenken, variieren oder in andere Richtungen weiterentwickeln. Zum anderen geht es zunächst ganz schlicht und einfach um die Möglichkeit der Reproduktion, die dem Druck innewohnt. Mithilfe der Grafik kann Immendorff seine Ideen verbreiten und unter die Menschen bringen. Bereits im Mittelalter war es üblich, von bedeutenden Gemälden Stiche anzufertigen, um so Bildfindungen zu verbreiten. Gleichzeitig haben auch politische Flugschriften eine jahrhundertealte Tradition. Und so dient die Grafik Jörg Immendorff, der an die Veränderbarkeit der herrschenden Politik durch die Kunst glaubte, als Kommunikationsmedium und Sprachrohr. Kaum ein Künstler hat sich so vehement in die politische Kultur des geteilten Nachkriegsdeutschlands eingemischt wie er.[4]

Immendorffs politische Motivation spiegelt sich in sämtlichen hier gezeigten Arbeiten wieder. Der Zyklus „Die Naht“ von 1982 zeigt in dichten kleinteiligen Figurenteppichen, die sich über das ganze Blatt ziehen, die Erschütterung der Grundsäulen der BRD und – als Symbol für die Nation – des Brandenburger Tors. Vor dem schreienden Orange, Gelb und Rot des Hintergrundes nehmen sich die Motive wie Schattenrisse aus. „Best Artist after War“ von 1985 ist eine fünfteilige Charakterdarstellung seiner Malerfreunde Georg Baselitz, A.R.Penck, Per Kirkeby, Markus Lüpertz und sich selbst. Gerade die Freundschaft mit Penck ist dabei durchaus auch ein Politikum. Penck lebt in der DDR – die Freundschaft ist grenzüberschreitend und wird von Immendorff in zahlreichen Werken thematisiert. Vor der Grenzöffnung deklariert er in seiner Kunst immer wieder die Überwindung der deutschen Teilung.

„Die Anbetung des Inhalts“, ebenfalls Mitte der 80er entstanden, ist eine Studie der großen Diktatoren des 20. Jahrhunderts. „Langer Marsch auf Adler“ von 1991 fällt ebenfalls durch eine intensive Farbgebung und eine extrem kleinteilige und detaillierte Flächenbehandlung auf. Horror Vacui – die Angst vor der Leere ist ein diesen Blättern angemessener Begriff. „Kampf der Zeit“ von 2005 zeigt eine Reihe übermalter Fotografien, allesamt Selbstporträts, in welchen der Künstler von seltsam symbolhaft aufgeladenen Übermalungen bedroht zu werden scheint. „The Rakes Progress“ kann ebenfalls als eine Art Selbstporträt gelesen werden. Für die Inszenierung der Geschichte um den jungen Tom Rakewell, welcher sein Vermögen verschleudert und selbstverschuldet und skrupellos sich selbst und sein Umfeld ins Verderben stürzt, entwarf Immendorff anlässlich der Salzburger Festspiele das Bühnenbild. Die Geschichte aus dem 18. Jahrhundert faszinierte ihn derart, dass er sie auch in einer Serie von Gemälden und Grafiken variierte und Tom Rakewell langsam zu einer Art alter ego Immendorffs mutierte.

Charakteristisch für alle diese Zyklen ist Immendorffs ganz eigene Ikonografie, die sich durch alle Werke zieht. Immer wieder taucht der Maleraffe als Symbol der eigenen Künstlerexistenz und der eigenen Zweifel auf. Darüber hinaus bedient sich Immendorff eines reichen Vokabulars an Chiffren, Symbolen und Zitaten und entwickelte so eine Bildmotivik, die für uns als Betrachter oft rätselhaft ist. Immendorff erkennt dieses Problem: „Es gab und gibt viele Probleme mit der Rezeption meiner Arbeit, obwohl das Falsch-Verstehen oder Missverstehen ja Teil des Ganzen und darum auch produktiv ist.“ Produktiv ist auf jeden Fall, dass seine Werke eine Botschaft haben, die gelesen werden möchte und dass selbst Missverständnisse genau dahinführen wo Immendorff uns haben will – in der Position nachdenklicher Betrachter, die seine Reflektionen über das Zeitgeschehen reflektieren und hinterfragen. Bewusst lässt er deshalb vieles offen für Interpretationen, denn „In der allgemein sich ausbreitenden Sinnlosigkeit unserer Zeit empfinde ich sehr stark das Bedürfnis nach Sinn. Nur, in der Kunst finde ich es wichtig, die Dinge nicht zu Tode zu deuten. In der Kunst besteht der Sinngehalt heute für mich im Sinnbruch.“[5]

 

[1] Ausst.-Kat. Jörg Immendorff/Ein Künstler aus Deutschland/Aus dem druckgrafischen Werk. Katalog anlässlich der gleichnamigen Ausstellung im Kunsthaus Stade vom 18. Januar bis 10. Mai 2009, hrsg. vom Museumsverein Stade e.V., Stade 2009.

[2] Der Maler Jörg Immendorff formt für die Stadt Riesa eine Rieseneiche. In: Berliner Zeitung vom 26.6.99 (http://www.berliner-zeitung.de/der-maler-joerg-immendorff-formt-fuer-die-stadt-riesa-eine-rieseneiche-gusseiserne-spaet-romantik-16657970)

[3] Ebd.

[4] Vgl. Ausst.-Kat. Stade 2009, Editorial.

[5] Jörg Immendorff, Interview mit Michael Stöber am 12.3.2000, publiziert in der „Welt am Sonntag“, vgl. Kat. Kestner-Gesellschaft: Jörg Immendorff, Bilder und Zeichnungen, hrsg. v. Carl Haenlein, 2000.